Die Abschottungspolitik in China und ihre Folgen

Wie vermeide ich den schleichenden Kontrollverlust über meine chinesische Tochtergesellschaft?


Inhalt


Die aktuelle Abschottungspolitik sowie die damit verbundenen äußerst strikten Einreisebeschränkungen und sonstigen Coronamaßnahmen in der Volksrepublik China stellen europäische Unternehmen mit chinesischen Tochtergesellschaften seit längerer Zeit vor ein erhebliches Problem: Es entsteht ein schleichender Kontrollverlust über die Tochtergesellschaften, da vor Ort eine adäquate Kontrolle des Unternehmens durch den europäischen Gesellschafter nicht mehr gewährleistet ist.

Im Tagesgeschäft mit unseren Mandanten in China beobachten wir seit einiger Zeit das Auftreten einer Vielzahl von Missständen bei den Tochtergesellschaften, die im Zusammenhang mit der fehlenden Kontrolle vor Ort in China stehen. Zum einen werden etablierte europäische Unternehmensstandards nicht mehr adäquat umgesetzt. Zum anderen sind eine erhebliche Zunahme von Haftungsfällen und Compliance Verstößen bis hin zu Fällen von vorsätzlichen Unternehmensschädigungen zu verzeichnen.

Im Nachfolgenden möchten wir einen Überblick über die regelmäßig auftretenden Missstände sowie Best-Practice-Lösungen für die Vermeidung dieser Missstände und Schädigungen der Gesellschaft geben.

Was sind die Gründe für den auftretenden Kontrollverlust über die Tochtergesellschaften in China?

Europäische Tochtergesellschaften in China waren bislang regelmäßig in der Form strukturiert, dass die maßgeblichen Führungspositionen von europäischen Führungskräften (sog. „Expatriates“) übernommen wurden und zugleich die Vertreter des Gesellschafters mehrmals im Jahr die Tochtergesellschaften besucht haben, um sich über den aktuellen Zustand vor Ort einen Überblick zu verschaffen.

Diese Struktur hat durch die Pandemie und die Abschottungspolitik der Volksrepublik China drastische Veränderungen erfahren. Die europäischen Führungskräfte, die vor Ort mit entsprechenden Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen tätig waren, haben aufgrund der strikten Coronamaßnahmen in Scharen das Land verlassen und zugleich besteht aufgrund der erlassenen Einreisebeschränkungen in China (u.a. mehrwöchige Quarantäne in staatlich festgelegten Hotels) kaum die Bereitschaft dorthin zurückzukehren. Zudem ist es den Vertretern des Gesellschafters faktisch unmöglich geworden, mit einem Business-Visum nach China einzureisen. Ein solches Businessvisum wird aufgrund der geltenden Coronamaßnahmen nur noch in äußerst begrenzten Fällen und nur nach Erhalt eines formellen Einladungsschreibens der lokalen Regierung erteilt. Die Voraussetzungen für den Erhalt dieses Einladungsschreibens sind jedoch derart hoch, dass der weit überwiegende Teil der europäischen Gesellschafter diese Voraussetzungen nicht erfüllen kann.

Damit fällt aktuell sowohl die unmittelbare Führung der Tochtergesellschaft als auch die unmittelbare Kontrolle vor Ort in die Hände der lokalen Angestellten – verbunden mit den zuvor beschriebenen negativen Folgen.

Insofern übernimmt die Schindhelm Allianz mit ihren Standorten in Shanghai und Taicang seit längerer Zeit für einige Mandanten eine turnusmäßige „interne Auditierung“ der Tochtergesellschaften vor Ort in China, um derartige Missstände zu identifizieren und effektiv zu beseitigen.

Welche Haftungsfälle in den Lieferanten- / Kundenbeziehungen treten bei chinesischen Tochtergesellschaften regelmäßig auf?

Sowohl auf Vertriebs- als auch auf Einkaufsebene machen wir in China die Beobachtung, dass Nebenabreden zu bestehenden Kaufverträgen und Auftragsbestätigungen mündlich oder via WeChat (chinesischen Pendant zu WhatsApp) abgeschlossen werden. Dies gehört in manchen Bereichen in der Tat zum Branchenstandard. In diesen Nebenabreden werden zumeist ergänzende Leistungsverspechen für die Produkte oder Veränderungen der Gewährleistungsrechte wirksam vereinbart. Unabhängig von der Frage der Berechtigung zum Abschluss solcher Vereinbarungen im Innenverhältnis (dazu später), erfolgt nach Abschluss dieser Nebenabrede regelmäßig keine schriftliche Dokumentation dieses Vorgangs. Dies führt dazu, dass Unternehmen die genaue Reichweite ihrer Leistungspflichten und der Gewährleistungsrechte nicht korrekt abschätzen und im Streitfall auch nicht gerichtsfest beweisen können. Wenn dann der zuständige Angestellte das Unternehmen verlässt, sind derartige Nebenabreden endgültig nicht mehr nachvollziehbar.

Unsere Empfehlung: Implementieren Sie für die se Bereiche eine Verpflichtung zur Anfertigung eines beweistauglichen Verhandlungsprotokolls (entsprechend einer Mustervorlage), in der die handelnden Personen sämtliche Aspekte der Abrede entsprechend dokumentieren und diese Dokumentation anschließend zur Kenntnisnahme und Bestätigung an den jeweiligen Kunden/Lieferanten übersenden. Zudem sollte eine klare Unternehmensrichtlinie zur Festlegung jener Bereiche erstellt werden, in denen Abschlüsse von Nebenabreden in mündlicher Form bzw. via WeChat erlaubt bzw. verboten sind.

 

Ein weiterer „Klassiker“ auf Vertriebs- und Einkaufsebene ist die fehlerhafte Einbeziehung von AGB der Gesellschaft bei Angeboten bzw. Auftragsbestätigungen. Dies liegt überwiegend darin begründet, dass die handelnden Personen keine ausreichende Kenntnis über die rechtlichen Rahmenbedingungen einer korrekten Einbeziehung der AGB besitzen.

Unsere Empfehlung: Schulen Sie die handelnden Personen mit Blick auf die rechtswirksame Einbeziehung von AGB, überreichen Sie den Personen ein entsprechendes Merkblatt und lassen Sie sich den Erhalt schriftlich bestätigen.

 

Zudem finden wir immer wieder Vertragsgestaltungen vor, in denen für die Gesellschaft untaugliche Gerichtsstandklauseln vereinbart wurden. Hier gibt es im Wesentlichen zwei klassische Konstellationen:

Eine Konstellation sind Verträge mit staatlichen / staatlich-investierten Unternehmen in China, in denen Gerichtsstandklauseln zugunsten der staatlichen Gerichte in China vorgesehen sind.

Unsere Empfehlung: Nehmen Sie in solchen Verträgen stets eine Schiedsgerichtsklausel (z.B. CIETAC Klausel) auf und lassen Sie die Wirksamkeit der Klausel rechtlich überprüfen. Insofern ist – immer noch – zu beobachten, dass es in Verfahren unter Beteiligung von staatlichen / staatlich-investierten Unternehmen vor staatlichen Gerichten in China zu „Überraschungsurteilen“ kommt.

 

Die zweite Konstellation zeigt sich bei internationalen Rechtsgeschäften. Darin wird durch die Tochtergesellschaft zumeist eine Rechtswahl zugunsten des chinesischen Rechts sowie eine Gerichtsstandklausel zugunsten der chinesischen Gerichte aufgenommen. Dies kann im internationalen Rechtsverkehr ein folgenschwerer Fehler sein. Urteile eines chinesischen Gerichts sind – mangels bilateraler Vollstreckungsabkommen – im Sitzstaat des Geschäftspartners regelmäßig nicht vollstreckbar. Noch viel schlimmer: In dieser Konstellation könnte damit allein der Geschäftspartner Urteile in China erwirken und gegen die Tochtergesellschaft vollstrecken.

Unsere Empfehlung: Bei internationalen Verträgen stets eine international anerkannte Schiedsinstitution (und ggf. das materielle Recht eines Drittstaates) wählen, damit etwaige Schiedssprüche später auch international vollstreckbar sind.

 

Abschließend findet man auf Vertriebsebene häufig das Erscheinungsbild, dass zwischen dem Endkunden und der Tochtergesellschaft ein Zwischenhändler eingeschaltet wird. Dies hat für den Vertrieb den angenehmen Nebeneffekt, dass dieser die Detailfragen mit dem Endkunden nicht direkt klären muss und sich damit Arbeit erspart. Hier besteht jedoch eine erhebliche Haftungsfalle: Im Rahmen der Verträge der Tochtergesellschaft mit ihren Zwischenhändlern findet sich regelmäßig eine Klausel, wonach der Zwischenhändler in seinem Vertragsverhältnis mit dem Endkunden die Mithaftung der Tochtergesellschaft vereinbaren darf. Damit haftet die Tochtergesellschaft für sämtliche Verpflichtungen aus dem Geschäft des Zwischenhändlers mit dem Endkunden, ohne den konkreten Inhalt zu kennen.

Unsere Empfehlung: Verträge mit Zwischenhändlern sollten zwingend einer juristischen Prüfung unterzogen werden, wenn sich die Einschaltung des Zwischenhändlers nicht vermeiden lässt.  

 

Welche Compliance-Fälle treten bei chinesischen Tochtergesellschaften regelmäßig auf?

Das Thema der Vorteilsgewährung ist in China auch heutzutage noch ein regelmäßig auftretendes Problem. Auf Einkaufsebene stellt sich insofern immer die Frage, ob die Lieferanten hier tatsächlich nach dem Prinzip des besten Preis-Leistungsverhältnisses ausgewählt werden oder ob hier private Verbundenheit mit den jeweiligen Lieferanten oder sogar (strafrechtlich relevante) Kick-Back-Vereinbarungen eine Rolle spielen.

Unsere Empfehlung: Überprüfen Sie regelmäßig das Preis-Leistungsverhältnis Ihrer Lieferanten und lassen Sie in regelmäßigen Abständen die Konditionen weiterer Anbieter kontrollieren.

 

Ein ähnliches Problem findet sich auf Vertriebsseite. Insbesondere in den Fällen der Einschaltung von Zwischenhändlern beobachten wir immer wieder, dass führendes Personal der Tochtergesellschaft an solchen Zwischenhändlern partizipiert (Mitgesellschafter / Organträger). Ein solches Vorgehen stellt nicht nur einen Verstoß gegen das Nebentätigkeitsverbot aus dem Anstellungsvertrag des jeweiligen Mitarbeiters dar, sondern führt auch zu dem Umstand, dass die Gesellschaft die tatsächlichen Gewinnmargen mit den (ggf. unnötiger Weise) eingeschalteten Zwischenhändlern teilen muss.

Unsere Empfehlung: Prüfen Sie regelmäßig die Notwendigkeit von eingeschalteten Zwischenhändlern. Zudem können unsere Anwälte vor Ort in China durch Einsichtnahme in die entsprechenden Register feststellen, ob die lokalen Führungskräfte an den Zwischenhändlern partizipieren.

 

Abschließend stellen wir immer wieder fest, dass es in den Tochtergesellschaften keine hinreichende Unternehmensrichtlinie zur Regelung der Vertretungsberechtigung und zur Nutzung des Firmenstempels für den wirksamen Abschluss von Rechtsgeschäften gibt. Insbesondere die Zugriffsmöglichkeit eines größeren Personenkreises auf den Firmenstempel ist im höchsten Maße haftungsträchtig, da mit der Verwendung des Firmenstempels wirksame Willenserklärungen der Gesellschaft im Außenverhältnis abgegeben werden können.

Unsere Empfehlung: Implementieren Sie interne Richtlinien, die zum einen den Kreis der vertretungsberechtigten Personen und den Umfang ihrer Befugnis (Nutzung des Firmenstempels) definiert und zum anderen haftungsträchtige Geschäfte sowie andere wesentliche Unternehmensentscheidungen unter den zwingenden Zustimmungsvorbehalt des Gesellschafters stellen.



Autor: Marcel Brinkmann